04 _ Hat mein Verdienst genug Gehalt?

08.05.2020

Von Christoph Stokar*, Texter/Konzepter aus Zürich

Wer in Armut lebt, weiss, dass Geld zentral ist. Alles dreht sich ums Beschaffen der Geldscheine, die Not ist mit Händen greifbar. Sind jedoch die Grundbedürfnisse einmal abgedeckt, stellt sich einem die Frage, was mit dem übrigen Geld anzufangen ist. Der Wunsch nach Macht und Einfluss könnte ein Grund dafür sein, immer mehr verdienen zu wollen. Unterstützt durch die Tatsache, dass nicht die Güter selber einem Zufriedenheit verschaffen, sondern das, was ihrem Besitz immateriell anhaftet. Beachtung und Aufmerksamkeit erlangen beispielsweise. Es geht um Anerkennung, nicht von einer einzigen Person, sondern von allen – ein hoher Anspruch. Mit der Eigenschaft, nie gänzlich erfüllt werden zu können: Das Objekt der Begierde kommt immer wieder in neuer Aufmachung daher. Denn – man sei in dieser Hinsicht ehrlich: Es bringt einen in den eigenen Gefühlen und im eigenen Denken nicht wirklich weiter. Die Vorstellung, es zu besitzen, macht glücklicher als dann der tatsächliche Nutzen. Auch jener auf der emotionalen Ebene. Ein sündhaft teurer Feldstecher, damit man die Tiere in der Wildnis so nah und klar wie noch nie sieht? Toll, mit einem Erlebnis verbunden, kaufen! Ein neuer Fernseher mit wahnwitziger Diagonale? Der Happiness-Faktor dürfte begrenzt bleiben.

 

Ein grosser Irrtum wäre auch zu denken, sagt die Glücksforschung, dass materieller Besitz etwas darüber aussagt, wie eine Person in ihrem Innersten ist. Er zeigt nur, was sie durch den Erwerb gerne wäre. Und ist damit ein ziemlich beredtes Signal, quasi stets über die eigene Stirn geschrieben: Ich wäre gerne dies. Sein vs. Haben?

 

Oder aber Machen. Denn der Wunsch, etwas zu bewirken, könnte ein weiterer Grund sein. Als Beispiel sei Yvon Chouinard, genannt, Gründer der Outdoor-Marke Patagonia, bekannt für ihre umweltverträglichen Produkte. Der Amerikaner ist dank seines Reichtums zu einem der grössten Grundbesitzer Südamerikas geworden, mit dem Ziel, ganze Landstriche der Nutzung zu entziehen und sie als Naturparks zu belassen. Und Warren Buffett lebt übrigens immer noch in einem bescheidenen Haus, das er 1950 erworben hat. Nicht nur in Geldangelegenheiten scheinen die beiden Einiges begriffen zu haben. Geld als Antrieb, Dinge zu unterlassen oder im Gegenteil, dass es Positives bewirkt – Verdienst hat Substanz.

 

*Über Christoph Stokar

Christoph Stokar ist selbständiger Texter/Konzepter in Zürich. Nach der Hotelfachschule Lausanne und Praktika in Zürich, Tokio und Basel entschied er sich für einen Wechsel in die Werbebranche. In Zürich stadtbekannt sind seine Schaufensterkonzepte für die Stadelhofen-Apotheke. Er ist (Co-)Autor verschiedener Bücher und Vater zweier Töchter im Erwachsenenalter.