Klaus Wellershoff: Brandbeschleuniger Corona

07.09.2020

Corona hat uns verändert. Wer von uns benutzt noch unbeschwert die öffentlichen Verkehrsmittel oder plant seine nächste Überseereise für den Winter? Noch sind die Auswirkungen dieser Nachfrageveränderung wenig spürbar. Fluggesellschaften müssen zwar gerettet werden, aber die meisten betroffenen Unternehmen sind in ein recht weiches Auffangnetz von Liquiditätsspritzen und Kurzarbeit gefallen.

Doch wie lange können wir es uns leisten, grosse Teile unserer Wirtschaft an den staatlichen Tropf zu legen? Wie in vielen Dingen sind uns die Amerikaner, was die Beantwortung dieser Frage angeht, einen Schritt voraus. Nachdem die erste massive Staatsintervention beginnt auszulaufen, wird nun ein zweites Paket an Staatsausgaben geschnürt. Dieses fällt aber bereits kleiner aus als das erste.

Aus gutem Grund. Bereits zur Jahreshälfte mussten wir davon ausgehen, dass das amerikanische Budgetdefizit in diesem Jahr mehr als 20 Prozent des Volkseinkommens betragen würde. Das ist eine Grössenordnung, die wir in Industrienationen seit dem zweiten Weltkrieg nicht gesehen haben. Mit dem nun anstehenden zweiten Paket wird sich das Defizit nochmals deutlich auf 30 Prozent vergrössern. Ob das bis zum Jahresende allerdings reicht, um die Konjunktur zu stabilisieren, ist unklar. Zur Erinnerung: Im schlimmsten Exzess der griechischen Fiskalpolitik kamen unsere südeuropäischen Nachbarn gerade einmal auf 13 Prozent Defizit.

 

Die Welt unserer Kinder wird ihren Schwerpunkt nicht in Europa haben, langsamer wachsen, wärmer und weniger frei sein. Keine guten Aussichten.

 

Natürlich hat eine so skrupellose Fiskalpolitik Nebenwirkungen. Seit dem Frühjahr kann man nicht mehr davon reden, dass die US-Notenbank unabhängig von der Regierung ist. Schon bei der Ankündigung des ersten Fiskalpakets ist es zu einem Ausbleiben von Nachfrage für US-Staatsanleihen gekommen. Erst die Ankündigung der Notenbank, dass sie dem Markt unlimitiert Liquidität zur Absorption der Staatsschulden zur Verfügung stellen würde, brachte den Obligationenmarkt wieder zum Leben. Seitdem haben auch die Aktienmärkte wieder Mut gefasst. Offensichtlich kann die Regierung die Notenbank de facto dazu zwingen, die neuen Staatsschulden zu monetarisieren.

Unter der explodierenden Schuldenlast und den tatsächlich das erste Mal seit vielen Jahren wieder steigenden Geldmengen in der Realwirtschaft wird sich der Strukturwandel in der Weltwirtschaft beschleunigen. Amerika wird in den kommenden Jahrzehnten noch langsamer wachsen und China wird unweigerlich immer dominanter. Was ein beschleunigter Abstieg der USA bedeutet, lässt sich vielleicht angesichts der jüngsten politischen Wende in Hongkong besser erahnen. Die Welt wird nicht einfach nur chinesischer, auch das chinesische Gesellschaftsmodell einer vor wenig zurückschreckenden Diktatur wird wohl immer einflussreicher werden.

Die Hoffnung, dass sich auf der Welt das liberale Gesellschaftsmodell westlicher Prägung durchsetzen könnte, ist damit kaum noch aufrecht zu erhalten. Freiheit wird zunehmend zu einem knappen Gut. Angesichts der teils sehr drastischen Freiheitseinschränkungen im Rahmen der Bewältigung der Corona-Pandemie gilt das wohl auch bei uns. Die Welt unserer Kinder wird ihren Schwerpunkt nicht in Europa haben, langsamer wachsen, wärmer und weniger frei sein. Keine guten Aussichten.

Natürlich hat dieser langfristige Ausblick auch Konsequenzen für Ihre Anlagen. Diversifikation in einer Welt wachsenden Staatsinterventionismus ist nicht trivial. Negativrenditen auf Staatsanleihen, Enteignungen von Unternehmen und über allem die drohende Gefahr steigender Inflationsraten verlangen eine wohldurchdachte Anlagestrategie. Und an die Strategie muss man sich dann auch halten. Auch hier hat Corona erschreckende Erkenntnisse gebracht.

Selten zuvor waren die Abweichungen der Anlageergebnisse von Zielwerten an den Finanzmärkten so gross wie in diesem Frühjahr. Damit wurden bei vielen Vermögensverwaltern Schwächen in Strategie und Umsetzung aufgedeckt. Auch wenn sich die Lage bis zum Sommer wieder beruhigt hat, ist das ein Warnsignal erster Güteordnung. Nutzen Sie unbedingt die jüngste Entwicklung, um die schlechten Anbieter auszuwechseln. Angesichts der globalen Entwicklung müssen wir damit rechnen, dass die kommenden Jahre an den Finanzmärkte herausfordernd bleiben werden.